Nadine Lederer: Der EGMR und die Leihmutterschaft – das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen!


RSprech neu KopieNachdem der EGMR bereits in der jüngeren Vergangenheit in den Fällen Mennesson gegen Frankreich und Labassée gegen Frankreich (Urteile jeweils vom 26.06.2014 – Beschwerde-Nr. 65192/11 und 65941/11, FamRZ 2014, 1527 ff. mit Anm. Frank; Engel, StAZ 2014, 353 ff.) sowie D. u.a. gegen Belgien (Urteil vom 08.07.2014 – Beschwerde-Nr. 29176/13, FamRZ 2014, 1841; siehe auch Reuß, „Neues vom EGMR zur Leihmutterschaft“, und Diel, „Leihmutterschaftstourismus – Kein Raum für generalpräventiv motivierte Sanktionen im Statusrecht?“) Gelegenheit dazu hatte, Stellung zur Leihmutterschaft zu beziehen, hat er nun sein Urteil in einem weiteren Leihmutterschaftsfall gesprochen (Urteil vom 27.01.2015 – Beschwerde-Nr. 25358/12):

In dem Fall Paradiso und Campanelli gegen Italien hatte ein kinderloses Paar aus Italien im Februar 2011 mit Hilfe einer Leihmutter in Russland ein Kind bekommen. Zurück in Italien bekamen die Wunscheltern Probleme mit den italienischen Behörden, als es um die Registrierung des Kindes auf Grundlage der in Russland ausgestellten Geburtsurkunde, nach der die Bestelleltern die Eltern des Kindes waren, ging. Die Behörden warfen den Wunscheltern vor, das italienische Leihmutterschaftsverbot missachtet und die Regelungen für ein internationales Adoptionsverfahren gröblich umgangen zu haben.

Ein DNA-Test brachte zudem ans Licht, dass das Kind von keinem der beiden Wunschelternteile genetisch abstammt, was sich die Bestelleltern nicht erklären konnten. Sie gehen insofern von einem Fehler auf Seiten der Reproduktionsklinik aus, da an sich das Sperma des italienischen Wunschvaters für die künstliche Befruchtung verwendet werden sollte.

Aufgrund der fehlenden genetischen Verbindung und der Missachtung italienischer sowie internationaler Gesetze sahen die Behörden die Wunscheltern als nicht geeignet an, das Kind aufzuziehen. Sie warfen dem Paar vor, allein aus einem narzisstischen Verlangen heraus bzw. zur Lösung ihrer Beziehungsprobleme gehandelt zu haben.

Im Oktober 2011 wurde das Kind den Wunscheltern nach einer gerichtlichen Entscheidung entzogen und in einem Kinderheim untergebracht. Den Bestelleltern wurde jeglicher Kontakt untersagt und der Aufenthaltsort des Kindes war ihnen nicht bekannt. Im Januar 2013 wurde das Kind schließlich Pflegeeltern anvertraut und erhielt eine neue formale Identität.

Vor dem EGMR beriefen sich die Wunscheltern auf Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens). Die Straßburger Richter bejahten zu ihren Gunsten einen Konventionsverstoß im Hinblick darauf, dass die Behörden den Bestelleltern das Kind weggenommen und es unter Vormundschaft gestellt hatten. Der Gerichtshof begründete seine Entscheidung damit, dass auch während des verhältnismäßig kurzen Zeitraums von nur ungefähr sechs Monaten, in denen das Neugeborene bei den Wunscheltern gewesen war, bereits de facto eine familiäre Beziehung zwischen ihnen entstanden sei (Rn. 69).

Der EGMR warf den italienischen Behörden vor, bei ihrer Entscheidung das Kindeswohl neben den Belangen der öffentlichen Ordnung nicht hinreichend berücksichtigt zu haben – dieses hätte, unabhängig von einer genetischen oder andersartigen Beziehung zu den Wunscheltern, in jedem Fall in die Abwägung mit einfließen müssen. Die Trennung des Kindes von den Wunscheltern sah das Gericht als extreme Maßnahme an, die nur bei Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für das Kind gerechtfertigt gewesen wäre (wie bspw. Gewalt, sexueller Missbrauch, Lebensgefahr, etc.) (Rn. 80).

Als besonders gravierend wertete der Gerichtshof zudem den Umstand, dass das Kind bis 2013, also über zwei Jahre lang, ohne formale Identität gewesen sei bzw. praktisch nicht existiert habe. Aus dem Umstand, dass das Kind von einer Leihmutter geboren wurde, dürften für das Kind keine Nachteile im Hinblick auf seine Staatsangehörigkeit und Identität resultieren, so überzeugend die Straßburger Richter (Rn. 85).

Obwohl der EGMR einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK zu Gunsten der Wunscheltern feststellte, wurden die italienischen Behörden nicht dazu verpflichtet, den Wunscheltern das Kind wieder zu überlassen. Da das Kind bereits seit 2013 bei einer Pflegefamilie lebt, hat es bereits intensive Beziehungen aufgebaut und soll dementsprechend aus dem neuen Familienverbund nicht wieder herausgerissen werden. Stattdessen sprachen die Straßburger Richter den Wunscheltern einen Schadensersatzanspruch gegen den italienischen Staat zu – mit Sicherheit nicht das von den Wunscheltern erhoffte Ergebnis.

Insgesamt konzentrierte sich der EGMR in dem Fall mehr auf die Tatsache, dass das Kind den Eltern entzogen worden war und weniger auf den Gesichtspunkt der Leihmutterschaft an sich. Zu begrüßen ist die Tatsache, dass der EGMR erneut, wie auch in den Fällen Mennesson und Labassée, sein Hauptaugenmerk auf das Kindeswohl gelegt hat – und dies, obwohl die Fälle jeweils sehr unterschiedlich gelagert waren und der EGMR die Verletzung von Art. 8 EMRK auf Seiten der Kinder in den französischen Fällen und auf Seiten der Wunscheltern in dem italienischen Fall mit jeweils anderen Argumenten begründete. So lag ein wesentlicher Unterschied darin, dass in den Fällen Mennesson und Labassée zwischen den Kindern und dem Wunschvater jeweils eine genetische Verbindung besteht – diesem Umstand hatte der Gerichtshof große Bedeutung beigemessen.

Da die Kammerentscheidung noch nicht rechtskräftig ist, bleibt das weitere Verfahren abzuwarten. Im Übrigen sind derzeit noch weitere Leihmutterschaftsfälle in Straßburg anhängig: Laborie gegen Frankreich (Beschwerde-Nr. 44024/13), Foulon gegen Frankreich (Beschwerde-Nr. 9063/14) und Bouvet gegen Frankreich (Beschwerde-Nr. 10410/14). In allen drei Fällen geht es darum, dass die Eltern-Kind-Beziehung zwischen den Wunscheltern und den von Leihmüttern in der Ukraine bzw. Indien geborenen Kindern in Frankreich nicht anerkannt wird.

Das letzte Wort in Sachen Leihmutterschaft durch den EGMR ist damit noch lange nicht gesprochen und der Ausgang der vorgenannten Verfahren bleibt mit Spannung abzuwarten, ebenso die langfristigen Auswirkungen der Entscheidungen des EGMR auf die nationale Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten des Europarats. Erst im Dezember 2014 hatte der BGH in einer Grundsatzentscheidung zu einem grenzüberschreitenden Leihmutterschaftsfall festgestellt, dass eine in Kalifornien ergangene Gerichtsentscheidung, die ein gleichgeschlechtliches männliches Wunschelternpaar zu den rechtlichen Eltern von Zwillingen erklärt hatte, verfahrensrechtlich anzuerkennen sei und hatte insofern einen ordre public-Verstoß verneint. Der BGH dürfte auf diese Weise der Familie in dem konkreten Fall ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk beschert haben. Zur Begründung seiner Entscheidung berief sich der BGH unter anderem auf die Rechtsprechung des EGMR in den Fällen Mennesson und Labassée (Beschluss vom 10.12.2014 – Az. XII ZB 463/13, NJW 2015, 479 ff. mit Anm. Heiderhoff; NZFam 2015, 112 ff. mit Anm. Zwißler; FamRZ 2015, 240 ff. mit Anm. Helms; siehe zu der Entscheidung des BGH auch Mayer, StAZ 2015, 33 ff. und Sucker, „Das Jahrhundert des Kindes? Leihmutterschaften verstoßen nicht gegen den ordre public!“, Link).


Nadine Lederer ist Rechtsanwältin und Doktorandin an der Universität Bayreuth. Ihre Dissertation befasst sich mit der Problematik von grenzüberschreitenden Leihmutterschaftsfällen.

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